Provisorische Bauten zwischen Utopie und Dystopie: Katharina Lüdickes provisorische Bauten sind Tests für den Ernstfall. Auf der Basis von Beobachtungen städtebaulicher Strukturen sowie sozialer und ökologischer Missstände entwirft die Künstlerin ihre Behausungen nach dem Prinzip der Wiederverwertung und Umfunktionierung einfacher Materialien wie Sperrholz, auf der Straße aufgelesene Reste oder Schenkungen.
Die Bauten sind dezidiert temporär angelegt und können prinzipiell immer wieder auf- und abgebaut werden. Dabei kann es sich beim Ort ihrer Aufstellung gleichermaßen um innerstädtische Brachflächen, öffentliche Gebäude oder auch private Grünanlagen handeln.
Der Maßstab der Prototypen ist jeweils auf die Körpergröße der Künstlerin ausgerichtet, die sich selbst ihrem Test unterzieht und hierüber im Idealfall zum Nachbau und eigenem Gebrauch animieren will. Als zentrale Frage, die die Arbeiten Lüdickes immer wieder aufs Neue antreibt, kann daher die nach den Möglichkeiten des Einzelnen gelten, sich ganz gleich welcher sozialen Herkunft, mit geringsten finanziellen und materiellen Mitteln angesichts verknappender Rohstoffe und sich häufender Naturkatastrophen fürs Überlebens zu wappnen.
Die Erfahrung hat gezeigt, dass diese Form provisorischer Architektur in einer Großstadt wie Berlin trotz zunehmender Sanierung und Ver-Bauung der Stadt bisher auf keinerlei Widerstand stieß. Im Gegenteil: Lüdickes Architekturen scheinen vielmehr Nischen zu füllen und zuvor nicht dagewesene Interaktionen mit dem Umfeld anzuregen. Selbst zwischen den neu entstandenen Townhouses an der Bernauer Straße in Berlin Mitte führte ihre Utopische Behausung, in dem die Künstlerin ohne weitere Absicherung nächtigte, zu einem anregenden Austausch mit den Bewohnern der Gegend und deren Unterstützung bei der Versorgung mit Lebensmitteln
Fiona McGovern, 2010